»Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort.
Dort treffen wir uns.«

(Dschalâl-ed-dîn Rumî)

Haltung

Es gibt so Vieles, was wir nicht wissen …

Die meisten Menschen sind von großer Empathie-Fähigkeit und haben eine ausgeprägte intrinsische Motivation, sich anderen Menschen gegenüber sensibel und wertschätzend zu verhalten. Trotzdem ist im Alltag davon häufig nicht viel spürbar. Wir leben in einer Gesellschaft, in der es zunehmend zu Verkrampfungen, Polarisierungen, Blitz-Eskalationen und leider auch Dynamiken der Entmenschlichung kommt.

Das zeigt sich speziell im digitalen Raum, aber auch zunehmend in der direkten Begegnung – besonders immer dann, wenn beim Anderen_ der Anderen ein Dissens vermutet wird. Ein gesetzter Gendergap – wie im vorigen Satz – kann dazu führen, dass manche Menschen nicht mehr weiterlesen mögen und diese Seite verärgert schließen, weil eine ganze Kaskade von Zuschreibungen vorgenommen wird und Haltungen vermutet werden, die sie als lesende Person nicht teilen. Gleiches würde ebenso gelten können, wenn dieser Text ungegendert geschrieben wäre. Es werden Haifischbecken vermutet, die manchmal vorhanden sind, aber viel häufiger erst im Missverstehen angelegt und in jedem Falle verstärkt werden.

Gespräche scheitern, bevor sie überhaupt begonnen haben.

Gespräche zu ermöglichen und gemeinsam mit den Teilnehmenden einen angstfreien Raum zu gestalten, in denen Menschen einander zuhören können, die Ohren offen bleiben, mit der Zeit auch lustvoll gearbeitet und gestritten werden kann ist mein Anliegen, meine Aufgabe und meine Passion.

Bei Themen wie Diskriminierungssensibilität, z.B. in Bezug auf Klassismus, Lookismus, Geschlechtergerechtigkeit und auch Rassismus, sind Menschen zudem aufgefordert, ihr eigenes Denken, Erleben und Verhalten zu reflektieren. Es ist weder theoretisch noch praktisch leicht, zu begreifen und zu akzeptieren, dass die aus der eigenen Erfahrung stammenden Sichtweisen, Gedanken und Urteile Instrumente sind, die in bestimmten Bereichen nicht dazu geeignet sind, zu verstehen. Dass das eigene Verstehen nicht die Voraussetzung oder das Kriterium für die Gültigkeit und Wahrheit der Erfahrung von anderen ist.

Es erfordert, über sich und die eigene Erfahrung hinwegzusehen und sich dafür zu öffnen, dass es Erfahrungen und Unterschiede gibt, die ich zunächst mit meinen Instrumenten nicht verstehen kann. Der Weg dahin ist offenes, wohlwollendes Zuhören und eine lernende Grundhaltung:

»Ich höre Dir sehr aufmerksam zu.«

Wir leben inmitten von Menschen mit einer lebendigen Vielfalt von Lebensgeschichten, Lebensformen und -entwürfen, Tabus, Ängsten, Diskriminierungs- oder Gewalterfahrungen, Stärken, Talenten und Fähigkeiten. Es hilft sehr, sich darüber klar zu sein, dass wir vieles nicht wissen und dass wir vor allem nicht wissen, wann wir nicht wissen. Und jedes Ich in dem Wir weiß anderes und schaut anders. Eine solche Haltung erlaubt Wachstum auf allen Seiten.

Das gilt auch für mich. Auch ich bin eine Lernende: Ich höre sehr aufmerksam zu.